“So wie du es in deinem Herzen spürst”
Vor einem Monat wurde ich im Gebetshaus der Guarani von Yynn Moroti Wherá in Brasilien, während einer nächtlichen Zeremonie um das Feuer, als Kunhã Marã’eyn – Medizinfrau und Spiritual Leader anerkannt.
Als ich vor nun fast 20 Jahren die ersten Schritte auf dem roten Weg der Indigenen des Amerikanischen Kontinents in Brasilien gegangen bin, war ich mir absolut sicher, dass ich irgendwann zur Medizinfrau geweiht werden würde. Etwas ganz tief in mir wusste es einfach. Diese Gewissheit war in den letzten Jahren verflogen. Ich hatte sozusagen an Initiationen, Visionssuchen, Lernen und Mitarbeiten in unzähligen Zeremonien, alles beisammen was es brauchte. Ich hatte Verklärung und tiefste Enttäuschung hinter mir. Ich war in Himmel und Hölle unterwegs. Und habe es einfach irgendwann losgelassen. Es war mir nicht mehr wichtig.
Während ich diese Worte schreibe überkommt mich einmal mehr tiefe Ehrfurcht und Demut vor der Weisheit und Schönheit von spirituellen Wegen, die der Essenz der Instruktionen Jener, die Vorausgegangen sind, treu sind. Die uns helfen, den “schrecklichen Ozean” der Illusionen, langsam und mit Umwegen, aber sicher, zu durchqueren. Die in diesem großen Mysterium Halt geben und eine Spur, der wir folgen können. Auch wenn wir sie zwischenzeitlich aus den Augen verlieren.
Nun, ich hatte die Idee, Medizinfrau zu sein, und alles, was das in meinem Kopf für mich bedeutete, gehen lassen. Und lache hier gerade alleine. Weil der Kopf mit allen seinen wunderbaren Gedanken, Überzeugungen und Plänen mit unsagbarer Natürlichkeit eines Besseren belehrt wird, sobald es an der Zeit ist.
In meinem Fall: reise ich nach fast vier Jahren wieder nach Brasilien. Beschließe, meine indigene Familie zu besuchen, zunächst an einem Tag, wo sie im Gebetshaus ihr erstes Buch mit ihren Schöpfungsgeschichten vorstellen. Viele Menschen sind da, Guarani aus dem Reservat natürlich, und von außerhalb. Aber auch alle möglichen Autoritätspersonen, Vertreter der öffentlichen Verwaltung und Freunde.
Ich komme ins Reservat, steige aus meinem Auto, und mein gesamter Körper beginnt zu beben. Ich bin fasziniert von meiner Reaktion und beobachte mein Herz, das wie wild schlägt. Ich gehe den schmalen Pfad und die Stufen zum Gebetshaus hinauf. Vor der Tür treffe ich Daniel und freue mich riesig. Ich trete ein, in das schummrige Licht, der Geruch nach Rauch und Tabak hüllt mich ein und ich bin auf der Stelle angekommen.
Der Chor beginnt zu singen und Tränen fließen über meine Wangen. Ich nehme meine Pfeife und zünde sie an. Es gibt in mir keine Fragen mehr. Nur Ausrichtung nach oben und nach unten. Es fühlt sich an, als würde das Feuer vor mir durch alle meine Kanäle fließen. Und alles was ich weiß ist: ich will mit jeder Faser meines Seins, dass das hier weiter geht.
Inzwischen hat Adailton mich entdeckt und zwischen all den Würdenträgern, die nacheinander vor das Feuer treten und eine kurze Ansprache halten, ruft er mich nach vorne um zu sprechen. Meine Stimme bebt und die Berührung überfließt mich. Alles was ich ausdrücken kann, ist der tief empfundene Dank, dass diese Menschen mit so viel Standhaftigkeit ihr Gebet weiterhin leben und tragen.
Nach dem Event, als alle gegangen sind, sitze ich mit meiner Patin Celita, ihrer Schwester Marcia und deren Tochter Bruna, sowie meinem Paten Marcelo zusammen vor dem Feuer. Celita beginnt zu sprechen und findet mit ihrer Pfeife Worte, die direkt in mein Herz gehen. Sie spricht von der Vergangenheit, von der Gegenwart und von der Zukunft. Davon, dass es an der Zeit ist, dass dieser Samen, diese Essenz, den die Guarani über die Jahrtausende gehütet und gepflegt haben, in die Welt getragen wird. Eines kommt zum anderen, alles ist ganz klar. Ich bin jetzt gekommen, um meinen Platz einzunehmen. Bei der Eröffnungszeremonie der Visionssuche, eine Woche später, soll ich als Medizinfrau anerkannt werden.
Wow… Zurück in der “Zivilisation” schaltet sich nach einigen Stunden mein “Alltags-Ich” wieder ein. Alle möglichen Anteile von mir werden getriggert: was bedeutet das jetzt eigentlich? Was kommt da konkret auf mich zu? Welchen Erwartungen von mir und von anderen muss ich entsprechen? Ich versuche zu atmen und mit der empfundenen Klarheit in Verbindung zu bleiben.
Eine Woche später treffen wir uns wieder. Es ist die Eröffnungszeremonie der jährlichen Visionssuche, wo die Gemeinschaft die Mutigen verabschiedet, die sich in den folgenden Tagen alleine, ohne Essen und ohne Trinken, in den Wald begeben, um eine Vision für ihr Leben zu empfangen.
Das Gebetshaus ist voll. Ich treffe die Familie. Die Paten meines Sohnes, Santiago und Adriana sind aus einem anderen Reservat gekommen. Ich bin baff, wie mein 9-Jähriger auf die beiden zustürmt und sie auf Herzlichste umarmt, obwohl er sich kaum an sie erinnern konnte. Eben Verwandtschaftsbeziehungen, die vor dem Feuer anerkannt wurden.
Die Zeremonie dauert die ganze Nacht. Es wird gesungen, getanzt, gebetet. Das Feuer brennt die ganze Zeit und wird in den kommenden 14 Tagen nie ausgehen.
Dann kommt der Moment der Absicht, die zurück kehrt, der Moment der Kraft. Wo die Sonne in einem gewissen Winkel zur Erde steht und alle Tore geöffnet sind. Die Medizinleute, die die Zermonie leiten, 3 Männer und eine Frau, laden die vier Richtungen ein. Alle sind jetzt mit Federschmuck geschmückt. Die Stimmung ist feierlich erhoben.
Hyral betet mit der großen steinernen Pfeife vor dem Feuer. Spricht von seinen Erfahrungen in den Visionssuchen, teilt seine Weisheit und Liebe mit denen, die am nächsten Tag auf den Berg aufbrechen.
Dann erzählt er, wie er seinerzeit von seinem Großvater anerkannt wurde. Wie jener ihm gesagt hatte, dass er jetzt dafür bereit sei, dies hier alles weiter zu tragen. Und so, leitet er über, sei es an der Zeit, jene anzuerkennen, die es verdient haben.
Meine Wirbelsäule richtet sich auf, mein Herz schlägt wie wild. Die nächsten Worte sind für mich.
Als erste Südtirolerin werde ich von dem spirituellen Anführer im traditionellen Gebetshaus vor dem Feuer anerkannt. Aus der Quelle seiner Inspiration kommt “du hast die Erlaubnis, es genau so zu machen, wie du es in deinem Herzen spürst”. Ich bekomme ein Diplom überreicht, ein Dokument, das es mir erlauben soll, Federn, Medizinen und heilige Instrumente international zu transportieren.
Zum Abschluss der Zeremonie bete ich gemeinsam mit Daniela das Frauengebet. In den folgenden Tagen unterstützen meine Tochter und ich die Visionssuche im Reservat.
Nun bin ich seit einem Monat zurück in Südtirol. Etwas ist in meinem Energiefeld passiert. Die Wirkung dieser scheinbar simplen Anerkennung in mir ist enorm. Ich beobachte, nehme wahr, forsche und staune. Begegne meinen Schatten und meinem Licht. Ich danke für die ganze Unterstützung. Und nehme, Schritt für Schritt, meinen Platz ein.
Darüber, was es jetzt tatsächlich konkret für mich bedeutet, wie es mit dem Kundalini Awakening Training in Verbindung steht und mit allen Räumen die ich halte, möchte ich bald berichten.
Aguydjevete,
Margit Agam Agadh – Takuá Yvydjú Mirim
Ich bin berührt. Als Wissenschaftlerin der westlichen Welt krieg ich durch dich immer wieder Mut und Bestätigung, meine ganz eigene Spiritualität zu pflegen und zu nähren, immer wieder über den Tellerrand hinaus zu blicken in die endlose Welt der Liebe und des Wachsens. All die Felder in und um mir, die dem Verstand nicht zugänglich sind. Ich freue mich unsagbar für dich und die Erfüllung, die du lebst und teilst. Danke, dass ich an deiner Seite sein darf. Danke. Immer wieder von ganzem Herzen: DANKE